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2023 N° 4
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Fokus

«Bei der neuen Autorität leben wir die Beziehung auf Augenhöhe»

Gabriela Moser vermittelt Teams und Eltern seit vielen Jahren das Konzept «Gewaltfreie Kommunikation». Später kam die «neue Autorität» von Haim Omer dazu. Die Primarschule Uster hat die Ausbildnerin für eine Weiterbildungsreihe engagiert.

Cigdem Ruf

Gabriela Moser, Sie befassen sich schon lange mit gewaltfreier Kommunikation. Weshalb?

Es ist mir ein Anliegen, respektvoll und achtsam zu kommunizieren.

Wenig später kam die «neue Autorität» hinzu. Wie kam es zu dieser Kombination?

Gewaltfreie Kommunikation ist stark – und die neue Autorität ergänzt die gewaltfreie Kommunikation in allen Bereichen. Das von Haim Omer entwickelte Konzept hat mich überzeugt. Omer ist Psychologe und Familientherapeut. Vor rund 20 Jahren kamen immer wieder Eltern zu ihm und berichteten, dass sie von ihren Kindern bedroht und auch geschlagen werden. Die Gewaltbereitschaft der Kinder und Jugendlichen gegenüber den Eltern nahm fortlaufend zu. Seine Forschungen und Abklärungen ergaben, dass Eltern sich wieder ihrer Autorität bewusstwerden müssen. Erziehende sollen hinstehen und sagen: «Ich sehe dich, ich bin für dich da. Aber was jetzt gerade ist, toleriere ich nicht.» Es ist wichtig, gewaltlosen Widerstand zu zeigen, aber dennoch in der Beziehung zu bleiben.

«Kinder brauchen Eltern, die präsent sind, die in der Beziehung bleiben, auch wenn es herausfordernd ist.»

Was ist der Unterschied zwischen dem antiautoritären Erziehungsstil und der neuen Autorität?

Die antiautoritäre Erziehung geht davon aus, dass die Kinder wissen, was sie brauchen – und wir begleiten sie. Das Wort Erziehung wurde in Frage gestellt. Die neue Autorität sagt: Kinder brauchen Eltern, die präsent sind, die in der Beziehung bleiben, auch wenn es herausfordernd ist. Und die Eltern leben die Werte vor.

Haben Sie ein Beispiel?

Ein Vater steigt mit zwei Kindern und einem riesigen Rucksack in den Zug ein. Sieben Mal wechselt er das Abteil. Immer wieder schultert er den Rucksack und geht ins nächste. Fortlaufend bestimmen die Kinder, wo sie sich hinsetzen wollen. Die neue Autorität sagt: Ja, ihr dürft auswählen, aber nun bleiben wir sitzen. Das geschieht liebevoll, aber beharrlich. Dann gilt es, in die Beziehung zu gehen, Spiele zu machen, die Kinder abzulenken. Nicht die Kinder übernehmen die Führung. Wir Erwachsenen tragen die Verantwortung.

Gibt es Ausnahmen?

In Klassen gibt es Kinder mit besonderen Bedürfnissen, die die Regeln nicht einhalten können. Da bleiben wir immer in der Möglichkeit des Kindes. Auch hier bleiben wir mit dem Kind verbunden und schauen, was realistisch ist.

Im Weiterbildungskurs sprechen Sie von der alten Autorität. Was ist damit gemeint?

Früher hiess es: Das wird jetzt so gemacht, das ziehen wir durch. Es wurde keine Beziehung gelebt. Bei der neuen Autorität leben wir sie auf Augenhöhe: Du bist es mir wert, du bist mir wichtig und ich gehe in meine Verantwortung.

«Streng sein und Beziehung kann man unabhängig voneinander leben.»

Ein Kind wirft sich auf den Boden, tobt und schreit den Laden zusammen. Wie reagieren Sie?

Ich frage mich: In welcher Phase steckt das Kind in seiner Entwicklung? Die «Täubeli»-Phase ist der erste Schritt in die Pubertät. Es geht um die Ich-Werdung. Ich erkenne mich. Ich will jetzt das «Schoggistängeli». Hier sagt die neue Autorität: Geh in Beziehung mit dem Kind, verstehe es. Es ist normal, dass es in diesem Alter so etwas macht. Bleib in der Selbstkontrolle. Drohungen helfen nicht. Aber sage ihm, dass es kein «Schoggistängeli» gibt und erkläre, weshalb. Bleibe ruhig und beharrlich.

Was raten Sie, wenn Jugendliche ihre Eltern schlagen?

Diese Eltern müssen Hilfe holen. Sie sollten begleitet werden. Da wurde schon vorher etwas verpasst.

Sie beraten Schulen und Firmen und bieten Coachings an. Gibt es auch Kurse für Eltern?

Ich war lange in der Elternbildung tätig. Das Interesse war gross. Wir haben Säle mit bis zu 100 Eltern gefüllt. Heute sind es vermehrt Einzelcoachings. Aber es gibt Angebote.

Erhalten Sie Rückmeldung, ob die Anwendung der neuen Autorität im Alltag gelingt? 

Es gelingt nicht immer. Es kommt vor, dass sich Eltern nicht einig sind, dass sie getrennt sind und keinen gemeinsamen Haushalt mehr führen. Manchmal sind Eltern so zerstritten, dass sie gar nicht mehr zu einer gemeinsamen Haltung finden. 

Wenn einen das Kind so ärgert, dass man es nicht mehr mag: was dann?

Streng sein und Beziehung kann man unabhängig voneinander leben. Ich kann in der Beziehung bleiben, aber ganz streng sein. «Wir haben es gerade schwierig, ich rege mich gerade total auf, aber du bist mein Kind. Ich glaube daran, dass wir das miteinander schaffen.» Dann ströme ich eine andere Energie aus.

«Ich muss von der Idee wegkommen, gewinnen zu müssen.»

Es gibt Eltern und Erziehungsberechtigte, die sich so ärgern und aufregen, dass sie das Kind schlagen. 

Dann kommt die Deeskalation zum Zug. Das ist ein wichtiger Teil der neuen Autorität. Ich muss von der Idee wegkommen, gewinnen zu müssen. Wenn der Konflikt zu eskalieren droht, ist es sinnvoll, wenn die erwachsene Person die Situation verlässt, um in einem späteren Zeitpunkt darauf zurückzukommen. Wichtig ist, dranzubleiben.

Wie bestrafen Eltern und Erziehungsberechtigte richtig? 

Es wird nicht gestraft. Es gibt Konsequenzen oder Wiedergutmachung. 

Was ist der Unterschied? 

Eine Strafe hat nichts mit der Tat zu tun. Eine Strafe ist willkürlich und hat stets etwas mit Macht zu tun. «Ich bin älter, ich bin deine Mutter, ich darf mit dir machen, was ich will.» Logische Konsequenz hat immer mit der Tat zu tun. Eine Wiedergutmachung dient der Resozialisation, der Wiedereingliederung. Das heisst: In dem Bereich, in welchem das Kind etwas nicht eingehalten hat, muss es etwas tun. Die Abmachung war, bis am Samstag die Ämtli zu erledigen. Wird die Abmachung nicht eingehalten, kann das Kind nicht zu seinem «Gspändli» spielen gehen. Ist es erledigt, wird es möglich. Dabei ist es wichtig, in der Beziehung zu bleiben und gleichzeitig beharrlich zu sein.

Ist es möglich, trotz Anwendung der neuen Autorität zu scheitern?

Wenn die Eltern dranbleiben und sie anwenden, wenn die Kinder noch klein sind, ist der Erfolg riesig.
 

Mehr über Gabriela Moser

Gabriela Moser ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Die 56-jährige Lehrerin ist Dozentin für Erwachsenenbildung, Ausbildnerin in der «Gewaltfreien Kommunikation» und seit 15 Jahren Dozentin für «Neue Autorität». Alle weiteren Tätigkeiten und Begabungen sind auf ihren Webseiten zu finden:

Respekt statt Gewalt

Gabriela Moser – Zentrum für Entwicklung

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